„Angriff auf die Freiheit“? Berliner Senat will Verfassungsschutz stärken

Die Berliner Regierungskoalition plant neue Vorschriften für die Arbeit des Landesverfassungsschutzes. Das geht aus einem Gesetzentwurf der Innenverwaltung hervor, der am Donnerstag erstmals im Abgeordnetenhaus diskutiert wurde. So wollen CDU und SPD unter anderem die Online-Beobachtung erleichtern und Auskunftsrechte der Bürger beschränken. Die Opposition reagiert mit deutlicher Kritik auf die Reformpläne.
Geht es nach der Koalition, soll die sogenannte Online-Durchsuchung erleichtert werden. Dafür wird Spionagesoftware auf mobile Geräte gespielt, etwa auf Smartphones. Die Software ist als „Staatstrojaner“ bekannt und ermöglicht es, Kommunikation einzusehen, zum Beispiel Chat-Nachrichten. Neu wäre, dass für das Einschleusen der Software nicht mehr die Zustimmung der G10-Kommission erforderlich sein soll. Das Gremium, das sich aus Parlamentariern zusammensetzt, kontrolliert die Arbeit des Verfassungsschutzes – etwa beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.
„Diese parlamentarische Kontrolle halten wir für unverzichtbar“, sagte die Grünen-Abgeordnete June Tomiak dem Portal Netzpolitik zur geltenden Regelung. Es sei „völlig unverständlich, warum hier von der bisherigen guten Praxis abgewichen werden soll“. Der Linke-Politiker Niklas Schrader kritisiert die Eingriffe grundsätzlich. Die Online-Durchsuchung ermögliche „kaum begrenzbaren Zugriff auf Computer und Handys“ und untergrabe „die Sicherheit von informationstechnischen Geräten“.
In der Koalition sieht man das natürlich anders – und gibt sich demonstrativ gelassen. „Dass die Opposition das kritisiert, ist in Ordnung, sie macht eben Oppositionssachen“, sagt der SPD-Fraktionssprecher für Verfassungsschutz, Jan Lehmann, der Berliner Zeitung. Tatsächlich reagiere der Senat mit der Reform schlicht auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Außerdem sei es falsch, dass die schwarz-rote Koalition von der parlamentarischen Kontrolle abrücke, sagt der Sozialdemokrat.
„Bei der Online-Durchsuchung soll künftig ein Richter im Eilverfahren darüber entscheiden, ob der Geheimdienst Software auf ein Smartphone spielen darf, um das Eintippen von Textnachrichten live zu überwachen“, so Lehmann weiter. Der Staat müsse schneller und effektiver handeln können, damit er technisch mithalten könne. Denn Messenger auf Smartphones seien meist verschlüsselt; und bis die G10-Kommission in einem Fall entschieden habe, sei es oft zu spät. Allerdings werde das Gremium „auch künftig regelmäßig tagen und steht auch in dringenden Fällen zu Sondersitzungen bereit“, sagt der SPD-Abgeordnete.
SPD-Politiker: „Missbrauch durch Unmenge von Anfragen“ verhindernNeben dieser Änderung sieht der Gesetzentwurf auch eine Erleichterung der Wohnraum-Überwachung vor. Darüber hinaus soll es neue Regeln für Auskunftsanfragen beim Verfassungsschutz geben. Bürger können sich beim Geheimdienst erkundigen, ob Informationen zu ihnen gesammelt wurden – beispielweise im Bereich Rechtsxtremismus, Islamismus oder „Delegetimierung des Staates“. Die Reform der Koalition sieht vor, dass dies in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres möglich sein soll. So müsse man seine Anfrage mit einem „konkreten Sachverhalt“ begründen und ein „berechtigtes Interesse“ vorweisen.
Der SPD-Abgeordnete Lehmann hält das für unbedenklich. Verdächtig mache man sich durch die Begründung der Anfrage nicht unbedingt, sagt er. „So kann man beispielsweise auch eine Auskunft anfragen, wenn es beim Telefonieren in der Leitung knistert.“ Durch die Änderung, so Lehmann, wolle die Koalition „Missbrauch durch eine Unmenge von Anfragen“ verhindern.
Der Gesetzentwurf der Innenverwaltung wird nun, nach der ersten Lesung im Abgeordnetenhaus, an den zuständigen Fachausschuss des Parlaments übergeben. Bis zur Reform düften noch einige Monate vergehen.
Zuletzt hatte die Einstufung der gesamten AfD als „gesichtert rechtsextremistisch“ bundesweite Aufmerksamkeit auf die Arbeit des Verfassungsschutzes gelenkt. Ob der Berliner Verfassungsschutz den AfD-Landesverband nachrichtendienstlich beobachten darf, ist derweil nicht bekannt. Denn bislang darf der Landesverfassungsschutz nicht berichten, welche Organisationen er als „Verdachtsfall“ führt – wobei es sich um die Vorstufe einer „gesichert extremistischen Bestrebung“ handelt. Die Gesetzesänderung des Senats sieht vor, dass das in Zukunft auch in Berlin möglich sein soll.
Kritiker bemängeln seit vielen Jahren, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst zu viele Befugnisse habe – sei es bei der Beobachtung von Oppositionsparteien, Organisationen oder auch einzelner Personen. Dem Berliner BSW-Abgeordneten Alexander King zufolge gilt dies auch für den Landesverfassungsschutz. „Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, Zugriff auf Konten und Telekommunikationsdaten – das alles soll für den Berliner Verfassungsschutz einfacher und zugleich das Auskunftsrecht für die Bürger erschwert werden“, sagt King dieser Zeitung. „Mehr Befugnisse, weniger Kontrolle – diese Berliner Gesetzesreform geht in die falsche Richtung. Es müsste genau umgekehrt sein.“
Die Berliner Liberalen, die schwarz-rote Reformpläne derzeit nur aus der außerparlamentarischen Opposition heraus kommentieren können, sind die Änderungen „völlig unausgeglichen, aktionistisch und tatsächlich ein Angriff auf die Freiheit“. Es sei erwartbar gewesen, „dass es die CDU sein wird, die eher auf der Seite eines übergriffigen Staates steht als an der Seite der unbescholtenen Bürger“, sagt der FDP-Vorsitzende Christoph Meyer.
Berliner-zeitung